Versicherungstrend Zentralisierung: Die Suche nach dem Gleichgewicht
Im zweiten Teil unserer Serie über die Auswirkungen von aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trends auf die Versicherungswelt setzt sich Marcello Biondo mit der Zentralisierung auseinander. Sein Fazit: Die Zusammenführung von Aufgaben, Prozessen, Kompetenzen oder Organisationen ist nur dann sinnvoll, wenn die Effizienz tatsächlich gesteigert und lokale Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Die Zentralisierung (oder Zentralisation) beschreibt eine zunehmende Bündelung von Ressourcen, wodurch der Ertrag gesteigert und Kosten gespart werden sollen. Im Zuge dieser Entwicklung haben Versicherungen in der Vergangenheit viele regionale Standorte und Stellen abgebaut. Wie vielversprechend sind solche Massnahmen und welche Risiken sind damit verbunden?
Chancen der Zentralisierung
Effizienzsteigerung: Ziel der Zentralisierung ist es, mit weniger Aufwand einen höheren Ertrag zu erzielen. Tatsächlich führt die Zusammenführung von Bereichen häufig zu Kostensenkungen, da die Versicherungsunternehmen weniger Standorte, Personal oder andere Ressourcen benötigen. Aus Sicht der Zentrale können dadurch auch der Koordinationsaufwand gesenkt und Redundanzen vermieden werden.
Standortvorteile: Mit Direktionsstandorten in Städten profitieren Versicherungsunternehmen von der Urbanisierung und einem grösseren Arbeitsmarkt. Gerade auf jüngere Arbeitskräfte können Städte eine höhere Anziehungskraft ausüben als ländliche Gebiete. Auch die Sichtbarkeit der Versicherer ist in urbanen Zentren höher.
Risiken der Zentralisierung
Verletzbarkeit: Bei der Zentralisierung werden nicht nur die Ressourcen, sondern auch die Risiken gebündelt. Wenn in einem Direktionsstandort etwas schiefgeht, ist das Unternehmen stärker davon betroffen.
Längere Entscheidungswege: Durch die zentrale Steuerung können Entscheidungsprozesse in die Länge gezogen werden. Zum Beispiel dann, wenn die lokalen Mitarbeitenden weniger selbstständig entscheiden und gestalten können. Das kann sich negativ auf ihre Zufriedenheit auswirken.
Verbundenheitsverlust: Auch bei der Kundschaft kommt der Abbau von lokalen Standorten schlecht an. Davor kannte man seine Versicherungsberater:innen häufig noch persönlich, was für eine Dienstleistung, die auf Vertrauen fusst, eine wichtige Rolle spielt. Hinzu kommt, dass lokale Gegebenheiten und Chancen aus der Ferne oftmals unerkannt bleiben.
Fazit: Die Suche nach dem Gleichgewicht
Die Zentralisierung kann durchaus sinnvoll sein, sofern die Wirtschaftlichkeit tatsächlich zunimmt. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass Arbeitsprozesse unnötig verkompliziert werden und sich die Beratungsqualität aufgrund fehlender Kenntnisse lokaler Gegebenheiten verschlechtert. Letztendlich geht es darum, ein gesundes Gleichgewicht zwischen der Bündelung und der Verteilung von Ressourcen zu finden. Lohnt sich der Vertrauens- und Motivationsverlust? Sind lokale Gepflogenheiten noch präsent? Das sind die Schlüsselfragen.