Versicherungstrend Technisierung: Der Mensch im Mittelpunkt
In einer mehrteiligen Serie beleuchten wir fünf aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Trends und deren Auswirkungen auf die Versicherungswelt: Technisierung, Zentralisierung, Globalisierung, Soziale Entwicklung und New Work. Im ersten Teil äussert sich Versicherungsexperte Marcello Biondo über die Chancen und Risiken der Technisierung.
Die Digitalisierung ist zwar in aller Munde, sie stellt aber nur einen Teil des noch umfassenderen Trends der Technisierung dar. Diese beschreibt wissenschaftliche Fortschritte in weiteren Bereichen wie der Nano-, der Neuro-, und Implantattechnologie, der künstlichen Intelligenz, Big Data oder Cyber- und Cloudlösungen. Die vierte industrielle Revolution – wie sie vom Weltwirtschaftsforum (WEF) auch genannt wird, ist dabei mehr als eine technologiegetriebene Entwicklung. Es ist eine Zeit, die Menschen und deren Umwelt in allen Bereichen von der Arbeit bis zur Freizeit verändert.
Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Versicherungswelt? Wie in anderen Gesellschaftsbereichen, bringt die Technisierung auch hier Chancen und Risiken mit sich.
Chancen der Technisierung
Neue Prozesse: Richtig umgesetzt, bieten Internetangebote sowie App-gestützte oder automatisierte Prozesse einen Mehrwert. Wenn die künstliche Intelligenz ausgereift ist, können Schadenfälle effizienter bearbeitet und Leistungen schneller bezahlt werden. Zudem ist Versicherungsbetrug leichter erkennbar. All das spart Kosten und führt zu günstigeren Prämien.
Neue Produkte: Dank leistungsfähigen Tools können Produkte auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten werden. Möglich sind zum Beispiel sogenannte Kurzzeitversicherungen, welche komplett digital und auf Abruf abgeschlossen werden können. Solche massgeschneiderten Produkte führen zu einer risikogerechten Tarifierung. Das kommt insbesondere Personen oder Unternehmen, die ihr Risikomanagement aktiv bewirtschaften und solchen mit einem niedrigeren Risikoprofil zugute.
Risiken der Technisierung
Entsolidarisierung: Die ursprüngliche Idee einer Versicherung, nämlich dass man Risiken gemeinsam respektive solidarisch trägt, gerät durch die Technisierung zunehmend unter Druck. Mithilfe der zunehmend grösseren Datenbasis lassen sich immer genauere Werte bestimmen, um individuelle Risiken und damit individuelle Prämien für einzelne Akteure zu berechnen. Personen oder Unternehmen mit einem höheren Risikoprofil können die Leidtragenden sein.
Privacy/Datenschutz: Die zunehmende Datenerfassung bei individualisierten und situationsabhängigen Angeboten sehen einige Kunden kritisch. Dass Versicherer zum Beispiel wissen, wo man sich befindet, wie häufig man sich bewegt oder wie viele Kilometer man mit dem Auto zurücklegt, weckt Vorbehalte.
Unpersönliche Beratung: Unter automatisierten, maschinengestützten Prozessen leidet der persönliche Kontakt. Gerade bei Versicherungsfragen ist jedoch der Beratungsbedarf hoch: Versicherungslösungen müssen auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sein und im Schadenfall wünscht man sich eine persönliche Betreuung.
Fazit: Der Mensch im Mittelpunkt
Die Technisierung unserer Lebenswelt wird weiter voranschreiten – das ist auch gut so. Sie ermöglicht Innovationen und Effizienzsteigerungen. Dabei muss aber der Mensch weiterhin im Vordergrund stehen: In unserer Branche sind dies die Versicherten, die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden. Neue Lösungen dank modernen Technologien ermöglichen einen verbesserten Umgang mit Risiken. Zugleich gilt es das grundlegende Solidarprinzip, welches das Konzept der Versicherung überhaupt erst ermöglicht, und das menschliche Bedürfnis nach persönlicher Beratung zu verteidigen.