Die Altersvorsorge 2020 erklärt

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Selten waren die Verhandlungen im Parlament so spannend wie diejenigen zur Altersvorsorge 2020. Selten waren sich National- und Ständerat so uneins. Und selten war ein neues Gesetz so wichtig für unsere Zukunft.

Die vom Parlament verabschiedete Gesetzesrevision zur Altersvorsorge 2020 beinhaltet die folgenden fünf Kernelemente (die Vorlage im Detail können Sie hier einsehen).

1. Rentenalter 65 bei Frauen

Das Pensionsalter für Frauen und Männer (ohne Kürzung der Rente) in der 1. und 2. Säule soll neu bei 65 liegen.

Die Anhebung bei den Frauen geschieht nach Inkrafttreten der Vorlage in mehreren Schritten. Der Zeitpunkt der Pensionierung soll flexibler gestaltet werden, weshalb das Gesetz neu vom „Referenzalter“ und nicht mehr vom Pensionsalter spricht.

Argumente dafür: Die Harmonisierung des Referenzalters bei 65 verbessert die Renten der Frauen und sorgt zugleich für mehr Einnahmen in AHV und BVG. Eine Erhöhung des Referenzalters über 65 Jahre – obwohl ökonomisch sinnvoll – ist dagegen nicht gerechtfertigt, da die Unternehmenspolitik in der Schweiz zugunsten älteren Angestellten lückenhaft ist.

Argumente dagegen: Bevor das Rentenalter bei Frauen erhöht wird, sollte in der Wirtschaft Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrschen. Ausserdem stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft überhaupt mehr ältere Arbeitnehmerinnen aufnehmen kann.

2. Flexible und individuelle Gestaltung der Pensionierung

Der Arbeitnehmer kann künftig den Zeitpunkt der Pensionierung zwischen 62 und 70 Jahren frei wählen. Beim Aufschub der Pensionierung (66-70) wird die Altersleistung erhöht, beim Vorbezug (62-64) wird sie gekürzt.

Eine gleitende Pensionierung (Teilpensionierung) soll ermöglicht werden, indem der Versicherte wählen kann, ob er nur einen Teil der Rente (zwischen 20% und 80%) oder die ganze Rente beziehen möchte. Die bisherige Befreiung von AHV-Beiträgen bis zu einem Jahreslohn von CHF 16’800 (bei arbeitstätigen Pensionierten) wird aufgehoben. Im Gegenzug werden die nach dem Rentenbezug geleisteten AHV-Beiträge neu bei der Rentenberechnung berücksichtigt, wodurch die Pensionierten durch Arbeitstätigkeit ihre Rente erhöhen können.

Auch die Pensionskassen müssen sich bei Annahme des Gesetzes diesen Regelungen anpassen, d.h. der Zeitpunkt und der Umfang der Pensionierung müssen frei wählbar sein, wobei das Parlament den Pensionskassen die Freiheit gibt, das Mindestalter für den Rentenbezug auf 60 Jahre festzulegen (statt 62 in der AHV).

Argumente dafür: Eine gleitende Pensionierung entspricht einem viel geäusserten Wunsch der Arbeitgeber und Angestellten. Der schrittweise Rückzug gibt ausserdem die Möglichkeit, weiterhin Beiträge einzuzahlen, und so die Maximalrente in der AHV zu erreichen. Ältere Angestellte können dem Betrieb länger erhalten bleiben und ihr Wissen weitergeben.

Argumente dagegen: Die frühzeitige Pensionierung ist Gutverdienenden vorbehalten, die trotz kürzerer Beitragszeit die AHV-Maximalrente erhalten. Schlechtverdienende, die oft deutlich früher erwerbstätig wurden und gesundheitlich mehr Probleme haben, werden bis 70 arbeiten müssen, was eine soziale Ungerechtigkeit darstellt. Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrats sah Privilegien vor für Personen, die bereits vor dem 21. Altersjahr arbeiteten und nur geringe Einkommen erzielen.

3. Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0%

Der Mindestumwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge wird innerhalb einer Frist von vier Jahren jährlich um 0,2 Prozentpunkte gesenkt und beträgt neu 6%.

Das würde anhand eines Beispiels bedeuten: Bei einem angesparten Altersguthaben von CHF 100’000 beträgt die jährliche BVG-Rente nicht mehr CHF 6’800, sondern CHF 6’000.

Argumente dafür: Die Anpassung geschieht aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung (im Durchschnitt beziehen wir länger eine Rente) sowie der tieferen Renditen, welche die Pensionskassen mit ihrem Kapital erzielen. Diese Massnahme ist unumgänglich, um das Fortbestehen der 2. Säule zu sichern.

Argumente dagegen: Ein tieferer Umwandlungssatz bedeutet tiefere Renten, was die finanzielle Situation von Pensionierten zusätzlich erschwert. Falls die Pensionskassen einst wieder höhere Kapitalrenditen erzielen, würden sie einen Gewinn auf Kosten der Rentner machen.

4. Ausgleichsmassnahmen

Um den tieferen Umwandlungssatz in der 2. Säule zu kompensieren und das Leistungsniveau (=die Höhe der Renten) zu sichern, sieht die Vorlage folgende Änderungen vor:

BVG: Der Koordinationsabzug wird flexibilisiert.

Er beträgt neu zwischen CHF 14’100 bei tiefen Einkommen bis CHF 21’150 bei hohen Einkommen (bislang fix CHF 24’675). Deshalb steigen der versicherte Lohn und somit die Einzahlungen in die Pensionskasse leicht an. Auch die Altersgutschriftensätze für die 35- bis 54-Jährigen steigen um ein Prozent an.

AHV: Alle neu entstehenden Altersrenten in der AHV sollen um 70 Franken pro Monat erhöht werden.

Dagegen werden die AHV-Lohnbeiträge von 8,4% auf 8,7% erhöht – es wird also auch mehr in die AHV einbezahlt.

Argumente dafür: Tiefere Renten hätten bei einer Volksabstimmung keine Chance. Der AHV-Zuschuss sichert die Rentenhöhe und die Angestellten müssen nicht deutlich mehr in die Pensionskasse einzahlen.

Argumente dagegen: Die Rentenhöhe wird auf Kosten der AHV erhalten. Durch die Zulage von 70 Franken monatlich wird die AHV noch mehr gefährdet und es findet eine gefährliche Vermischung von 1. und 2. Säule statt, die dem erfolgreichen Dreisäulen-System der Schweiz widerspricht. Die Probleme der Pensionskassen werden dadurch nicht gelöst, sondern nur auf die AHV verlagert.

5. Erhöhung der Mehrwertsteuer

Die trotz der verschiedenen Massnahmen verbleibende Finanzierungslücke der AHV soll durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gedeckt werden. Sie wird dazu schrittweise um 0,6% angehoben.

0,3 Prozentpunkte, die bis Ende 2017 für die Invalidenversicherung erhoben wurden, werden ab 2018 in die AHV umgeleitet. Erst 2021, wenn das Rentenalter der Frauen umgesetzt ist, wird die Mehrwertsteuer auf 8,3% angepasst.

Argumente dafür: Das höhere Rentenalter für Frauen reicht nicht aus, um die prognostizierte Finanzierungslücke der AHV zu vermeiden. Die Lücke kann nur durch eine höhere Mehrwertsteuer geschlossen werden.

Argumente dagegen: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bremst die Wirtschaft und löst eine Inflation aus, worunter primär die Schlechtverdienenden leiden. Kritische Stimmen sagen zudem, dass die Erhöhung nicht ausreicht, um die Deckungslücke der AHV langfristig zu schliessen.

Die heissen Eisen – darüber wurde im Parlament gestritten

Über zwei Jahre lang wanderte die Vorlage zur Altersvorsorge 2020 durch die Kommissionen und Räte. Im National- und Ständerat gab es unterschiedliche Auffassungen, wie die Reform aussehen soll.

Streitpunkt 1: 70 Franken sorgten für Gesprächsstoff

Dass der Umwandlungssatz auf 6% gesenkt werden muss, darüber herrschte weitestgehend Einigkeit. Zur Kompensation, damit die tatsächlichen Renten nicht sinken und die Vorlage deshalb nicht vor dem Volk scheitert, schlug die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat höhere Einzahlungen in die Pensionskasse vor sowie ein höheres Rentenalter von 67. Das Mitte-Links-Bündnis im Ständerat sah darin zu grosse Nachteile für die Angestellten. Sie konterten stattdessen mit einem Zuschlag auf die AHV-Rente von 70 Franken pro Monat, der die Ausfälle grösstenteils behebt. Die grosse Kammer verweigerte sich diesem Vorschlag vorerst mit der Begründung, dass er die AHV noch mehr belastet und die 1. und 2. Säule vermischt werden. Die Diskussion verkam zur Glaubensfrage: Die Bürgerlichen verteidigten die Pensionskassen (mit höheren Beiträgen) und die Mitte-Links-Allianz die AHV mit ihrem sozialen Umlageverfahren. Schliesslich schluckte der Nationalrat die 70-Franken-Pille, nachdem sich diese Lösung in der Einigungskonferenz ganz knapp durchsetzte.

Streitpunkt 2: Keine Chance fürs Rentenalter 67

Umstritten waren auch die automatischen Mechanismen, welche in Kraft treten, wenn der AHV-Ausgleichsfonds unter eine kritische Grenze fällt. Der Nationalrat forderte in diesem Fall eine automatische Erhöhung des Rentenalters auf 67. Dieser Vorschlag fand im Ständerat keine Zustimmung und hätte wohl auch an der Urne das Ende für die Vorlage bedeutet. Die Automatismen wurden schliesslich ganz aus der Vorlage gestrichen. Es verblieb einzig der Auftrag an den Bundesrat, Sanierungsmassnahmen vorzuschlagen, wenn sich abzeichnet, dass der AHV-Fonds unter 80% fällt.

Streitpunkt 3: 0,6% oder 1,5% Mehrwertsteuer?

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer war bei praktisch allen Beteiligten unbestritten – jedoch nicht deren Höhe. Vom Bundesrat war eine schrittweise Erhöhung auf 1,5% vorgesehen. Nach der Bereinigung zwischen National- und Ständerat blieben nur 0,6% zurück.

Streitpunkt 4: Weniger Geld für die Witwen

Der Bundesrat wollte die Renten für Hinterlassene an mehr Bedingungen knüpfen und deutlich senken. Dies weil eine Analyse eine deutliche Benachteiligung alleinstehender Frauen zeigte. Während der Ständerat sämtliche Vorschläge ablehnte, folgte der Nationalrat der Regierung mit leichten Anpassungen. Auch in diesem Punkt setzte sich jedoch der Ständerat durch. Die Witwenrenten werden nicht angefasst.