Covid-19: Die Lehren des schwarzen Schwans
Das im Jahr 2017 erschienene Bestsellerbuch „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Taleb trägt den Untertitel „Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“. Es zeigt die extremen Konsequenzen von Ereignissen, deren Eintretenswahrscheinlichkeit und deren Folgen wir systematisch unterschätzen. Wir ziehen Schlüsse aus der Vergangenheit, bauen uns stimmige Geschichten und malen uns die Zukunft aus. Die Realität überrascht uns und auch Experten dann immer wieder mit „unvorhersehbaren“ Situationen.
Video: SRF Sternstunde Philosophie mit Nassim Taleb
Mit Covid-19 traf uns ein solcher „schwarzer Schwan“. Er hat die Verletzlichkeit unserer schnelllebigen, vernetzten und globalisierten Welt offenbart.
Den blinden Fleck vermeiden
Für die Zukunft gilt es Lösungen zu finden, wie die Gesellschaft und die Wirtschaft das Risiko einer Pandemie bewältigen können. Dabei sollte man nicht wieder in die Falle des schwarzen Schwans geraten. Nun sämtliche Energien in den Umgang mit Pandemien zu investieren, wäre ein Fehlschluss.
Auch andere, altbekannte Risiken könnten weitreichende Folgen auf unser Zusammenleben und die Ökonomie haben oder gar einen „Shutdown“ verursachen. Genannt seien an dieser Stelle zum Beispiel schwere Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Nuklearkatastrophen. Wir kennen deren Gefahr, aber erachten sie aufgrund der Vergangenheit als vernachlässigbar.
Im Fokus: Erdbebenversicherung
zum ArtikelAls Hinweise auf mögliche „schwarze Schwäne“ lassen sich die „Emerging Risks“ betrachten, wie etwa Nanotechnologien, gentechnisch veränderte Organismen oder neue Baumaterialien, deren Gefahren uns heutzutage noch weitgehend unbekannt sind.
Resilienz als beste Bewältigungsstrategie
Wie also stellt man sich auf Risiken ein, die wir entweder nicht identifizieren oder nicht realistisch beurteilen können, so dass der Rückgriff auf die klassischen Risk-Management-Strategien nur begrenzt möglich ist?
Die Antwort darauf lautet: Resilienz oder Widerstandsfähigkeit. Sie ist für die Gesundheit von uns Menschen wichtig, um Krankheiten abwehren oder besiegen zu können. Und Resilienz ist ebenso für ein Unternehmen ausschlaggebend, damit es unerwartete, folgenschwere Ereignisse gut überstehen kann.
Die Aufarbeitung der Coronakrise in Unternehmen sollte daher einerseits beinhalten, den Betrieb bestmöglich auf zukünftige Pandemien vorzubereiten, aber andererseits das Augenmerk darauf richten, die Widerstandskraft des Unternehmens gegenüber höchst unwahrscheinlichen Ereignissen zu steigern.
Coronavirus (Covid-19) Versicherungssituation
zum ArtikelDie dazu nötigen Massnahmen sind höchst individuell: vom Aufbau eines kompetenten und erprobten Krisenstabs, der Erhöhung der Kapitalreserven, dem Aufbau einer agilen Firmenkultur bis hin zur Flexibilisierung und Diversifizierung des Geschäftsmodells und der Lieferketten. Etwas allgemeiner formuliert: Schwachstellen mit grosser Hebelwirkung sowie fragile Strukturen sind zu erkennen und zu beseitigen.
Versicherungs-Poollösung für Pandemien?
In diesem Sinn beinhaltet Risikomanagement weit mehr als die Optimierung von Deckungen durch Versicherungen. Das Prinzip Versicherung funktioniert auf der Basis von unabhängigen Einzelrisiken, deren Eintretenswahrscheinlichkeit sowie durchschnittliche Schadensumme bekannt sind. Nur unter diesen Bedingungen kann ein Versicherungspool, in dem alle Versicherungsnehmer in Form von Prämien für die Schäden von Einzelnen bezahlen, funktionieren.
Im Fall von Pandemien, aber ebenso anderen Grossrisiken, wie zum Beispiel der Klimaerwärmung, Kriegen, genmanipulierten Organismen, Immobilien- oder Finanzkrisen, funktioniert dieses Solidarprinzip nicht, da schlicht und einfach alle Prämienzahler von einem Schaden betroffen wären, respektive die einzelnen Risiken in direktem Zusammenhang stehen. Würde eine Versicherung solche Risiken decken, könnte das Eintreten des Risikos zur Insolvenz der Versicherungsgesellschaft führen. Die ungeliebten Ausschlüsse schützen die Existenz und das Weiterbestehen des Funktionssystems Versicherung und stellen damit sicher, dass es überhaupt möglich ist, zahlreiche andere Risiken zu versichern.
Video: HSG Insights: Die Rolle der Versicherungswirtschaft in der Corona-Krise
Dagegen ist denkbar und wohl auch realistischer, dass ähnlich wie bei Naturereignissen eine solidarische Poollösung geschaffen wird, die verschiedene Interessenvertreter tragen und für eine zukünftige Pandemie zumindest eine grundlegende finanzielle Ersthilfe bietet. Allerdings ist abzuwarten, ob dieser Weg eine politische Basis findet.
Mit Solidarität zur Resilienz
Sogenannt „schwarze Schwäne“ werden sich auch in Zukunft nicht verhindern lassen. Es gibt unvermeidbare und unumgängliche Risiken, deren Existenz oder deren Dimension wir nicht kennen können. Wie im Fall der Coronakrise müssen wir diese höchst unwahrscheinlichen Ereignisse als Solidargesellschaft bewältigen.
Die Wirtschaft als schützenswertes und lebenswichtiges Instrument unserer Gesellschaft kann sich nicht vor allen Risiken selbst schützen. Ihre Aufgabe ist es dagegen, mit Verantwortungsbewusstsein und Umsicht ihre Resilienz zu erhöhen.